Liebe Leser
Gerne möchte ich Ihnen den Wechsel vom Delegationsmodell zum Anordnungsmodell näher bringen. Dazu habe ich einen sehr guten Freund und Fachmann befragt. Besten Dank an pract. med. Frank Wilhelmus, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Vertrauensarzt SGV.
Wie funktioniert das neue Anordnungsmodell?
Mit einer Übergangsfrist von 1/2 Jahr vom 01.07.2022 bis 31.07.2022 wurde das Delegationsmodell aufgehoben und zum 31.12.2022 beendet. Das bedeutet, dass gut funktionierende Praxisstrukturen, wie sie mit Psychiatern und Psychologen zusammen geschaffen wurden, nicht mehr möglich und nicht mehr erlaubt sind. Stattdessen dürfen Psychologen, die jetzt ihren Fachpsychotherapeutentitel haben, sich selbstständig machen und mit der Grundversicherung abrechen. Das Ganze nennt sich Anordnungsmodell. Hierbei dürfen dann alle Ärzte, auch die Hausärzte, anordnen.
Das bedeutet für die ersten 15 Stunden kann eine Anordnungsbescheinigung vom Hausarzt attestiert werden für Psychotherapie, nach weiteren 15 Stunden und nach Rücksprache mit dem Psychologen dann eine erneute Attestierung für weitere 15 Stunden. Danach muss der Psychologe, wenn die Therapie weitergehen soll, einen ausführlichen Bericht über den Patienten schreiben, dieser Bericht muss an einen Psychiater geschickt werden, dieser Psychiater muss den Patienten einbestellen, sich ein Bild von dem Patienten machen und ausserdem auch einen ausführlichen Bericht schreiben. Diese Berichte gehen dann an den Hausarzt, der Hausarzt muss hier auch einen kleinen Bericht schreiben über die beiden Berichte, die vorliegen, das Ganze wird dann an die Krankenkasse verschickt und der Vertrauensarzt der Krankenkasse entscheidet dann nach Aktenlage, ob eine weitere Psychotherapie notwendig ist oder nicht.
Ist der Wechsel vom Delegations- zum Anordnungsmodell sinnvoll und effizient?
Meines Erachtens wird hier ein Bürokratiemonster erschaffen, das nur Unsummen an Kosten verursacht, in einem hochstelligen Millionenwert. Ausserdem ist das Ganze meines Erachtens hier mehr als dilettantisch geworden. Die Psychologen haben so z.B. fortlaufend ihre Zulassungsbedingungen für die Niederlassung als Psychotherapeuten verschoben und aufgehoben, sodann verwässert, sodass die geforderten Anerkennungszeiten, wie entsprechende Ausbildungszeiten in den Krankenhäusern, plötzlich nicht mehr notwendig waren und als Übergangsfristen einfach angenommen wurden. Nur damit jetzt noch alle Psychologen, welche Erfahrung haben, sich niederlassen und über die Grundversicherung abrechnen dürfen, auch wenn sie nicht wirklich die ursprünglich geforderten Voraussetzungen dafür erfüllen. Weiterhin kommt hinzu, dass die Politik hier einfach ein Modell in die Wege geleitet hat, ohne eine Absprache mit den Krankenkassen. Es gibt deshalb auch noch keine Abrechnungsziffer, obwohl das Modell seit dem 01.07.2022 schon besteht. Die Kantone haben – jeder für sich – eine eigene Abrechnungsziffer provisorisch eingerichtet; das bedeutet auch, dass jeder der niedergelassenen Psychologen, die darüber abrechnen, auch damit rechnen muss, dass wenn diese von der Krankenkasse so nicht angenommen wird, seine Gelder zurückbezahlen muss.
Welche Vorteile- oder Nachteile entstehen der erkrankten Person?
Weiterhin, mehr wie fragwürdig ist die Vorgehensweise bei einem Patienten, der schwerkrank ist. Dieser kann zwar vom Hausarzt krankgeschrieben und an einen Psychologen verwiesen werden. Dieser kann auch Patienten mit leichten Erkrankungen behandeln, jedoch sicherlich nicht mit mittelschweren oder schweren Erkrankungen, wo eine leitliniengerechte Behandlung weitergehende Erfordernisse setzt. Der Psychologe ist nicht ermächtigt und in der Lage Medikamente zu verschreiben; auch ist es ihm untersagt Arbeitsunfähigkeitszeugnisse auszustellen, dies ist eine rein ärztliche Tätigkeit. Deshalb werden dann wohl auch die Krankentagegeldversicherer prüfen, ob eine leitliniengerechte Behandlung vorliegt, also sprich, ob ein Patient, wenn er schwerer krank ist, auch bei einem Psychiater mit angebunden ist und dort auch medikamentöse Behandlung erhält. Sollte dies nicht der Fall sein, werden die Krankentagegeldversicherer dann höchstwahrscheinlich die Krankentaggeldleistungen einstellen und bei Patienten, die nicht genug Rücklagen haben, werden diese dann gezwungen zum Sozialamt zu gehen.
Auch ein ungeklärter Punkt ist, wie der Hausarzt, wenn er die Patienten für den Psychologen krankschreibt, dies begründen kann, da er fachfremd ist und die Arbeit der Psychologen nicht beurteilen und nicht überwachen kann.
Gibt es Nachteile für die Psychologen?
Da dieses ganze Hin-und-Her unausgegoren und dilettantisch ist, das von Politik wie von Psychologieverbänden herausgearbeitete Anordnungsmodell nicht nachvollziehbar ist, kommt jetzt natürlich erschwerend hinzu, dass die Kassen, meines Erachtens zurecht, die Psychologen in Weiterbildung nicht mehr bezahlen wollen. Das bedeutet nicht nur, dass Psychiater keine Psychologen mehr anstellen dürfen und alle ihre Psychologen entlassen müssen, obwohl hier oft jahrelang extrem gute Arbeitsbedingungen und -beziehungen bestanden haben, es kommt jetzt erschwerend auch noch hinzu, dass Psychologen in Ausbildung keine Vergütung mehr erhalten. Das bedeutet, dass ein Nachwuchs der Psychologen für die psychotherapeutische Tätigkeit überhaupt nicht mehr gesichert und gewährleistet ist und extrem hoher Bedarf zwar bei der Patientenversorgung besteht, diese psychologischen Kollegen sich dann aber beim Arbeitsamt melden müssen.
Fazit:
Hier ist ein Prozess in die Wege geleitet worden, der für einen normal denkenden medizinischen Menschen aus der Gesundheitsversorgung nicht mehr nachvollziehbar ist. Das Ganze ist unausgegoren, ineffizient und bürokratisch überbläht bis zum geht nicht mehr. Die Forderung der Krankenkassen, dass hier die Kostenexplosion eingedämmt werden müsse, kann ich voll und ganz verstehen und kann ich auch nur unterstützen. Meines Erachtens sollte dieses unsägliche Anordnungsmodell sofort gestoppt werden und das Delegationsmodell sollte weiterhin fortgeführt werden bzw. dürfte es nicht sein, dass Psychiater und Psychologen nicht mehr zusammenarbeiten dürfen, um Synergieeffekte zu nutzen – hier besteht dringender Handlungsbedarf. Nicht nur mir, auch vielen meiner anderen Kollegen geht es so, sie mussten jetzt langjährige Arbeitsbeziehungen mit den Psychologen kündigen; viele mussten auf die Strasse gestellt werden und dabei sind tausende von Patienten jetzt einfach unversorgt. Hier geht besonderer Dank an die FSP, die Vertretung der Psychologen, die dies alles hervorgerufen und verursacht haben, unter anderem auch, dass die Delegierte Psychotherapie auch noch nicht einmal für 1 Jahr verlängert werden sollte. Damit haben sie ihre eigenen Leute in die Arbeitslosigkeit getrieben. Ich finde es einen ausgesprochenen Skandal und dies ist für mich absolut nicht nachvollziehbar und macht mich nicht nur hilflos und wütend, es ist für mich einfach auch mehr wie befremdlich.
Verfasser: Stephan Engler, INP Finanz GmbH, Tonhallestrasse 45, 9500 Wi